'Sektenkind' (OT: 'Torn') von Chris Jordan
oecherdrake | 01. Mai 10 | Topic 'Kritik'
Randall Shane (S.167)
Verehrte Leser meiner ersten Kritik, dies ist keinesfalls eine bitterböse, schwarzhumorige Aussage eines kranken Serienkillers, sondern ein liebenswerter Kommentar des ehemaligen FBI-Agents Randall Shane an eine gute Freundin. Und so liebenswürdig, wie dieser Satz für sich alleine steht, so kommen dem Leser - sprich mir - eigentlich alle Charaktere vor. Aber warum alles vorwegnehmen...
In der Kleinstadt Humble (New York) gerät eine Geiselnahme in einer Schule außer Kontrolle. Zwar überleben alle Schüler und Lehrer und lediglich ein Polizist und der Geiselnehmer sterben, allerdings bleibt der zehnjährige Noah verschwunden und wird offiziell für tot erklärt. Seine Mutter Haley Corbin glaubt allerdings nicht an seinen Tod und engagiert daher den ehemaligen Ermittler des FBI Randall Shane. Im Zuge der Ermittlung kommen diese beiden Protagonisten einer ominösen Sekte in die Quere.
In Sektenkind ist nahezu alles dabei, was ein modernes Buch mittlerweile so hat. Man wird von einem Prolog begrüßt (der den Leser schon arg verwirrt, wenn man in ungefähr die Storybeschreibung kennt), die Haupthandlung verläuft in insgesamt fünf Teilen, die allesamt nochmal in mehreren Kapiteln unterteilt sind und am Ende verabschiedet ein Epilog.
Erwähnenswert ist hier vor allem das Design der einzelnen Kapitel. Über jedem Kapitel prangt dickgedruckt eine mehr oder weniger passende Überschrift. Da kann es dann vorkommen, dass man nun etwas zu 'Das Käsemonster' liest oder fiktive Persönlichkeiten direkt angesprichen werden ('Gib mir die Antwort,Batman'). Nett anzuschauen, aber auf Dauer überliest man diese Überschriften dann doch.
Die Länge der einzelnen Kapitel ist in den meisten Fällen mit kurz zu beschreiben. Literarisches Junk-Food, bei dem leider ab und an einfach kein Schritt vorwärts getätigt wird und die Story grundlos innehält.
Die Protagonisten des Buches lassen sich schnell klassifizieren, selbstverständlich sind die Mutter Haley Corbin und der Ermittler Randall Shane im Blickfeld des Lesers auf dem Weg zum Ziel unterwegs. Richtig warm wird der Leser allerdings nur mit dem Ermittler, obwohl man anhand der Ich-Erzählperspektive vom Autor eher in Richtung Mutter gedrängt wird. Der Nutzen der Ich-Erzählung erschließt sich insgesamt auch nicht unbedingt, weil nahezu in jedem Kapitel andere Charaktere im Vordergrund stehen und man so deren Gedanken liest.
Bei den Antagonisten drängelt sich kein Charakter wirklich auf. Wir haben da zum einen die klischeehafte Sektenanhängerin, die die Sekte zu spirituellen Höhenflügen verleiten will, ihren - mittlerweile wohl in Thrillern Usus - ausländischen Killertypen und den weltmännischen, aber ansonsten komplett abstrakt gestalteten Mann höheren Alters, der zur erwähnten Anhängerin im Kleinkrieg liegt.
Die Charaktere hören sich nicht nur abstrus an, sondern agieren auch recht abstrus. Grade das Finale des Buchs versetzt einem logisch denkenden Menschen einen Schlag in die Magengegend, es sei denn, man setzt nicht allzuviel auf plausible Charakterentwicklung.
Oh mein Gott, eine Sekte. Man liest in den letzten Jahren ja nicht genug über Freimaurer, Iluminaten oder anderen obskuren Organisationen, als dass dem Gelegenheitsleser so ein Buch wirklich auffallen dürfte. Doch Sektenkind bleibt in diesem Fall moderner. Und wahrscheinlich ist der Sektenaspekt auch eines der wenigen Highlights des Thrillers. Es schleichen sich nämlich unheimlich offensive Parallelen zu einer aktuell stark umstrittenen Sekte auf. Auch in Sektenkind enstehen die sogenannten Rulers durch die Ideologie eines einzelnen Mannes, der das Buch 'The Rules of One' schrieb und damit zu einer Ikone der Bewegung hochgehoben wurde.
Das System der Sekte baut dabei vor allem auf die materiellen Werte auf und das Erreichen eines angeblich sehr schwer erreichbaren Geisteszustandes.
Es ist schwer darüber zu berichten, denn so richtig erklären kann man diese Sekte gar nicht, ohne dass wieder zuviel verraten wird. Man merkt allerdings deutlich, dass eben diese Sekte absichtlich so gestaltet wurde - anders lassen sich die Parallelen nicht erklären.
Ansonsten aber bewegt sich Sektenkind doch auf recht überschaubarem Niveau. Die Charaktere bleiben blass, die Story bleibt zu abstrus und unlogisch. Dies gipfelt dann in einem Finale, das eigentlich keines ist, und einem Epilog, der durch eine Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung versucht eben jenes Finale nochmal auszumerzen.
Richtige Spannung kommt leider durch die zu unschlüssige Erzählung in Häppchen leider nicht auf, wodurch das Buch zwar recht langatmig daherkommt, aber letztendlich alleine durch seine "Aktualität" eine gewisse Brisanz gewinnt.
TOP/FLOP 3
3. Sprünge in der Erzählperspektive - Wenn man ab und an zwischen den Hauptprotagonisten und den Antagonisten wechselt, mag es durchaus erträglich sein. Wenn man aber in nahezu jedem Kapitel von einer anderen Charakterstimme begrüßt wird und nahezu JEDE Sicht einmal erläutert wird, kann es schon nerven.
2. Das Ende - An Kreativität schien es dem Autor zu mangeln, als er dieses Ende schrieb. Urplötzlich wird der eine Charakter als der Gute dargestellt, die Bösen bekommen ihre "gerechte" Strafe und anstatt den Cut anzusetzen, ergänzen wir alles einfach noch mit sinnlosen Zusatzinfos. Gedacht als i-Tüpfelchen, aber im Endeffekt nur wie die Zitrone auf dem Schnitzel: Sie ist da, aber wirklich essen will sie keiner.
1. Mut zur Offenheit - Man muss dem Autor Respekt zollen. Solch ein offensiver Umgang mit einer schwierigen Thematik, offen heraus Parallelen aufzubauen ohne Furcht vor Risiken - grade bei solch klagewütigen Gesellen - , gelingt nicht jedem. Chapeau!